Dienstag, Januar 17, 2006

Do I really understand what I read ?!?

Moin, Nabend, Tach auch. Hey, da bin ich - Applaus bitte!

Ja, Langeweile ist ein wirklich gewichtiger Grund, um mal aufzuschreiben, was einen bewegt und das dann auch noch die ganze Welt wissen zu lassen.
Man stellt sich schon so einige Fragen: Hab ich eigentlich was zu sagen? Wird das irgendwer lesen? Ist das irgendwie von irgendeinem Sinn geprägt? - "Man wird sehen" ist wohl die plausibelste Antwort - und ich werde es sehen!

Wieso schreibt man ein "öffentliches Tagebuch"? Na, eigentlich gibt es da nicht sonderlich viele Gründe:
1. Selbstprostitution: Man hält sich für unglaublich witzig oder schlau oder schön oder alles und hätte das auch gerne von anderen gehört, weswegen man fragwürdige, gestellte Fotos postet, auf denen man theatralische Dinge mit seinen Händen anstellt und möglichst wenig trägt.
2. Einbildung: Man nimmt sich viel zu wichtig. Hält sich für unglaublich interessant, kritisch, aufgeschlossen und schlau und schreibt dann so Dinge wie "Hatte heute Spaghetti zum Mittagessen..."
3. Aufmerksamkeit: Tagebücher sind private, abgeschlossene Dinge, in die hin und wieder eine wirklich, wirklich vertraute Person einen kurzen Blick werfen darf. Ein Blog ist das Gegenteil. Aber, wie mein Lieblingsausspruch von einem Freund lautet: "Attentionwhore bleibt Attentionwhore."

Ich denke, bei mir ist es eine Mischung aus 3. und der vorhandenen Langeweile. Ich lausche meinem Lieblingswebradio, lächele vor mich hin und hab eigentlich viel zu viele Gedanken im Kopf. Nun gut, ordnen wir die eben:

Zu Anfang: Wer schreibt hier eigentlich? Diese Frage, hat zwei Antworten - eine kurze und eine ausführliche.

Die kurze: Ich.

Die ausführliche: Ich, also eben ich. Ja, und wer bin ich? Wie bin ich? *lacht* Öhm, wohl etwas durchgeknallt, selbstredend lustig, freundlich und nett, aber auch oftmals verschlossen. Nicht alles, was ich denke, was mir durch den Kopf geht oder ich fühle, teile ich anderen mit, nichtmal den Menschen, die ich liebe. Solche Dinge bahnen sich meistens erst einen Weg, wenn ich schreibe. Dann fließen Tränen, kommen Erinnerungen - freudige, wie auch traurige. Ich schreibe nicht viel, meistens Erlebnisberichte, manchmal Geschichten, die auf Erlebnissen beruhen oder aber einfach nur ellenlange Abhandlungen zu irgendeinem Schwachsinn. Nun, aber das werdet ihr noch früh genug merken... *hrhr*

Aber genug von mir und mal zu mir.

Donnerstag wird ein wirklich übler Tag für mich. Wie jedes Jahr. Wie jeder 19. Januar. Donnerstag ist mein Tauftag. Nun, das interessiert im Wesentlichen eigentlich niemanden. Wer weiß schon, wann sein Tauftag ist? Nun, ich weiß es. Wichtiger ist jedoch, warum ich das weiß.
Meine Taufe war mein erstes Geschenk an meinen Vater, der an dem Tag, als ich getauft wurde seinen 50. Geburtstag feierte. Ich war sein absolutes Wunschkind und er und meine Mutter hatten viel für mich gekämpft, sehr viel aufgegeben und noch mehr gelitten. Er muss wirklich glücklich gewesen sein. Keine Ahnung, hab ihn nie gefragt oder fragen können.
Ich weiß noch genau, wie es war, als er starb. Ich war seit sieben Wochen in Dänemark, wo ich ein halbes Jahr zubringen sollte, gewesen und kam auf einem Sonnabend nach Hause. Alles war schön, mein Vater schloss mich in die Arme und war wohl überglücklich mich zu sehen, wo ich an seinem Geburtstag doch keine Gelegenheit hatte Zuhause zu sein. Manchmal glaube ich wirklich, er hat nur für mich diese Schmerzen ausgehalten, halt sich nur für mich am Leben gehalten, nur, um mich aufwachsen zu sehen und nur, um mich in diesen Winterferien ein letztes Mal in die Arme nehmen zu können. Sonntag war ein normaler Messetag, ein Tag wie jeder andere, denn ich bin auf Messen großgeworden. Mit 5 die ersten Kundengespräche und Maskottchen der Firma. Mit 16 in der Lage auch schwierigste Verhandlungen für den Vater zu übernehmen und einfach an der Provision mitzuarbeiten. Sonntag abend setzten dann die Schmerzen ein. Heftige Schmerzen. Ich hatte gewusst, wie schlimm es stand, wusste, dass ich nachts durch Schmerzensschreie wachgehalten werden würde, wusste, dass meine Mutter aussehen würde wie ein wandelnder Geist und trotzdem hatte ich das nicht erwartet. Mein Vater schluckte eine Tablette, die mir so riesig vorkam, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass man sie wirklich in einem Stück schlucken konnte. Danach schien es besser zu werden, doch ich wollte gar nicht wissen, wieviel Wirkstoff welcher Art in dieser Tablette eigentlich war.
Montag wurde es besser. Erst. Dann nicht mehr. Der Anruf kam gegen Zehn Uhr morgens, als wir alle schon längst wieder auf einem Messestand standen: "Ihr Mann ist bei uns eingeliefert worden. Ja, hat gestreut. Weiß man nicht genau, ein paar Monate noch. Ja, er kann morgen nach Hause." Meine Mutter ließ mich allein auf der Messe. Alleine mit den neugierigen Blicken der nichtsahnenden Kollegen fertig werden, alleine mit der Angst fertig werden, lächeln und verkaufen.
Zuhause angekommen, gab es keine Sorgen mehr. "Vati geht es gut, er will nur nen Fernseher, denn Olympia läuft doch." Eine ruhige Nacht und die Freude, meinen Vater am nächsten Tag wieder zu haben. Den ganzen Dienstag gearbeitet und dann auch noch abends mit der Direktrice durch die Gegend gefahren, um noch mehr Kunden zu besuchen, die nicht auf die Messe kommen konnten. Vollkommen erschlagen kam ich nach Hause. Der versteinerte Blick meines Onkels mit diesem Kopfschütteln. Meine Mutter zusammengebrochen am Telefon und dann diese Worte "Vati hat keine Schmerzen mehr. Nie mehr." Und dann nur noch Tränen, Tränen und so viele Gedanken. Er wird nie sehen, wie ich auf meinem Abschlussball tanze. Nie sehen, wie glücklich ich bin, wenn ich ihm sagen kann, dass ich einen Mann gefunden habe, den ich über alles liebe und mit dem ich mein Leben teilen will. Nie kann ich ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen und mit ihm den Weg zum Altar zurücklegen. Nie wird er seine Enkelkinder sehen. Und dann kamen noch mehr Tränen.
Bei der Beerdigung war ich nur überrascht. So viele Menschen, so viele Freunde und so viele Tränen in den Augen von Leuten, von denen man das nie gedacht hätte. Mein Cousin, der - doppelt so alt wie ich - sagte "Wäre es doch mein Vater...", als mein Onkel ihn nicht hörte. So viele Erinnerungen.

Nun denn, das hat mich einiges gelehrt, aber vor allem, dass man das Leben so nehmen muss, wie es kommt und es so akzeptieren, das Beste daraus machen und hart arbeiten sollte, um es genießen zu können, um ein erfülltes Leben zu haben. Nach vorne schauen, die Vergangenheit nur zum Erinnern benutzen, aber nie darin versinken. Lasst euch nicht von den Schatten einholen, sondern strebt zum Licht.

Mein Leben ist kein schlechtes Leben, denn ich habe alles, was ich brauche und noch sehr viel mehr. Ich habe eine eigene - zugegeben noch recht kleine - Familie. Ich habe Luft, Liebe, Nahrung, Freunde, einen interessanten (naja, mehr oder weniger) Studiengang und noch so einiges mehr. Hach ja, das klingt unglaublich spießig. Nicht wahr? Aber hey, wer will schon wirklich in einem bunten Hippiebus von Festival zu Festival fahren, Sex, Drugs and Rock'n'Roll? Mal ganz abgesehen davon, dass das nicht ein qualitativ hochwertiger Lebensstil ist, ist Punk meiner Meinung nach Einstellungssache, aber dafür muss man vorher noch eine wichtige Frage klären: Was ist eigentlich "spießig"? Wohl das sprachliche Gegenteil von "alternativ". Allerdings hab ich das Gefühl, dass heutzutage Spießigkeit die wirkliche Alternative ist, denn wer denkt noch in solchen Bahnen?
Um das mal mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Meine Freundin sollte mich neulich an der Uni abholen und sie antwortete auf meine umsichtige Frage, ob sie auch gut hergefunden hätte: "Mir war klar, dass ich richtig war, als alle auf einmal so alternativ aussahen." Wenn aber nun alle "alternativ" aussehen, ist "Spießigkeit" die Ausnahme. Wir haben ein festgelegtes Bild von einem Studenten: faul, ungewaschen, jeden Tag Party und das Geld von Mutti/Vati oder dem Staat verprassen. Interessanterweise ist das Bild, das die Gesellschaft von einem Punk hat genau das gleiche. Punk ist aber weit mehr als welche Bondagejacke ich besitze oder wo ich wieviele Niten habe. Punk ist eine Einstellung, eine Auffassung, eine Auflehnung gegen festgelegte Regeln und eigentlich ist Punk für jeden etwas anderes und wahrscheinlich im Endeffekt ein persönliches, kleines Stück Freiheit! Oder wie meine Lieblingsband Wizo in einem Lied schrieb:


"Nana"
Wenn ich an meinem Fenster steh
und seh was draußen vor sich geht,
ja dann bin ich froh, dass ich nicht bin,
wie all die anderen sind.
Wenn ich durch die Straßen geh
und all die Vollidioten seh,
ja dann bin ich froh, dass ich nicht bin,
wie all die anderen sind.
Deren Werte und Moral
sind mir völlig scheißegal,
ich brauch weder Gott noch Vaterland,
Ihr könnt mich alle mal.
Denn für immer Punk
will ich sein mein Leben lang,
lieber Aussenseiter sein,
als ein dummes Spießerschwein!
Ich hab's mir selbst so ausgesucht
und hab es oft genug verflucht.
Doch ich geh den Weg,
den ich gewählt hab weiter bis ins Grab.
Und für immer Punk
will ich sein mein Leben lang,
lieber Aussenseiter sein,
als ein dummes Spießerschwein!
Ich brauch niemand, der mir sagt,
was ich zu tun und lassen hab.
Auch wenn's oft schon Ärger gab,
ich bleibe Punk bis in mein Grab
Und komm es vor,
dass mache Wixer sagen wollen,
was Punk und nicht mehr Punk sein soll,
dann scheiß ich ihnen ins Gesicht,
neue Regeln brauch ich nicht.
Wenn ich durch die Straßen geh
und all die Scheißgesichter seh,
ja dann bin ich froh, dass ich nicht bin,
wie all die anderen sind.
Und was lernt man nun daraus?
1. Immer zweimal hinschauen, bevor man urteilt.
2. "Alternativ" ist Konvention.
3. Mut zur Spießigkeit.
4. Mut zur Lebensfreude.
In diesem Sinne: Kopf aufmachen!
Frohes schaffen,
Tigga.